Stadtrundgang

Spuren jüdischen Lebens in Gotha

Erfahren Sie bei einem Stadtrundgang durch Gotha viel Wissenswertes über die Geschichte und die Wirkungsstätten von Gothaer Juden vom 18. bis 20. Jahrhundert.

1

Eisenacher Straße

Jüdischer Friedhof

In der Eisenacher Straße befindet sich der jüdische Friedhof, der etwa 150 Gräber umfasst. Die Begräbnisstätte existiert an diesem Ort seit 1870. Die letzte Beerdigung fand 1942 statt.

2

Gartenstraße 13

Synagogenstandort

Die Synagoge wurde unter Leitung des Architekten Richard Klepzig erbaut und am 11. Mai 1904 eingeweiht. Sie diente vor allem als Gotteshaus, aber auch als Schule, in der die Kinder Hebräisch lernen konnten. In der sogenannten „Reichskristallnacht“ wurde die Synagoge am 9. November 1938 durch die Nationalsozialisten niedergebrannt. Die Kosten für den 1939 erfolgten Abriss musste die jüdische Gemeinde übernehmen. Seit 1988 erinnert ein Denkmal an die Synagoge.

3

Brühl 8

Manufakturwaren-Geschäft von Max Blau

Hier befand sich jahrzehntelang das seit 1914 bestehende Manufaktur-, Konfektions- und Schuhwarengeschäft „Max Blau“. Inhaber war der 1877 im polnischen Rzepiennik geborene David Blau – der Vater von Max. In der Reichspogromnacht wurden hier die Schaufenster beschädigt. Im Oktober 1938 schoben die Nazis alle jüdischen Menschen polnischer Staatsangehörigkeit in einer landesweiten Aktion ab. Die Familie lebte zunächst im Warschauer Ghetto. David Blau wurde später nach Auschwitz deportiert, sein Sohn Max (1902-1985) kam als Zwangsarbeiter zurück nach Thüringen. Ab 1945 leitete er die jüdische Gemeinde in Jena und betätigte sich als Geschäftsmann. 1948 wanderte er in die USA aus. Seit 2013 erinnern vor ihrem Wohnhaus in der Goldbacher Straße 1 drei Stolpersteine an diese Familie.

4

Hauptmarkt 40

Eisenwarenhandlung der Gebrüder Ruppel

Im Jahre 1870 zogen die Brüder Emanuel und Abraham Ruppel mit ihren Familien nach Gotha. Sie erwarben das Haus „Zur Goldenen Schelle“. Hier eröffneten sie eine Eisenwarenhandlung für den Handel mit Kleineisenwaren, Haus- und Küchengeräten. Aus dem Geschäft ging 1894 die Metallwarenfabrik „Gebrüder Ruppel“ in der Reinhardsbrunner Str. 57-59 hervor. Dort arbeitete z.B. die bekannte Bauhausdesignerin Marianne Brandt. Einige Mitglieder der Familie wurden von den Nationalsozialisten ermordet, anderen gelang die Auswanderung nach England. Die „Ruppelwerk GmbH“ wurde 1938 kurz nach der Reichspogromnacht als „Gothaer Metallwarenfabrik GmbH“ „arisiert“. An deren Stelle befindet sich seit 2003 die „Gebrüder-Ruppel-Straße“ mit Einfamilienhäusern.

5

Hauptmarkt 41

Hofbankhaus der Gebrüder Goldschmidt

Hier befand sich das 1868 gegründete Hofbankhaus der Gebrüder Jacob und Moritz Goldschmidt. Jacob (1848-1906) war auch Vorsitzender der Gothaer Israelitischen Kultusgemeinde. In dieser Funktion weihte er 1904 die Gothaer Synagoge ein. 1930 ging das Geldinstitut in die Thüringer Staatsbank über. 1939 verkaufte die Familie ihre Villa in der Lindenauallee 26 und konnte sich nach Chile retten.

6

Hauptmarkt 34

Versteck des jüdischen Kaufmanns Georg Meyerstein

Wie aus einem Zeitzeugengespräch mit einem Gothaer Mitbürger bekannt ist, der im Hinterhaus dieses Gebäudes lebte, befand sich in Nr. 34 das Schokoladengeschäft der Familie Haase, die auch über dem Geschäft lebte. Die Tochter der Familie war mit einem Juden, Herrn Meyerstein, verheiratet. Der Zeitzeuge spielte gelegentlich mit deren Sohn Peter Haase und erinnert sich, dass seine Familie mit Zunahme der Judenverfolgung Herrn Meyerstein in ihrer Wohnung versteckt hielt. Familie Meyerstein ist wahrscheinlich nach einem Umzug nach Leipzig ausgewandert.

7

Jüdenstraße mit Augustinerkloster

Mittelalterliches Judenviertel

Hier befand sich in der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert das Viertel der jüdischen Gemeinde. Gleich 1934 wurde die Jüdenstraße in Dietrich-Eckart-Straße umbenannt, ein völkischer Dichter, Judenhasser und Förderer Hitlers. Erst seit 1946 trägt diese Straße wieder ihren eigentlichen Namen, zuvor hieß sie ein knappes Jahr lang Waidstraße.

8

Augustinerstraße 15

Amtsschule mit jüdischem Religionsunterricht

Eine eigene jüdische Schule gab es in Gotha nicht, denn seit der Emanzipation der jüdischen Bevölkerung (ca. 1840-1870) gingen alle Schüler in öffentliche Schulen. Bis zur Errichtung der Synagoge 1904 wurde allerdings für jüdische Kinder Religionsunterricht in der Bürgerschule in der damaligen Großen Sundhäuser Gasse 15 erteilt.

9

Lucas-Cranach-Straße 3

Manufakturwaren-Geschäft von Löb Rosenblatt

Hier befand sich seit 1886 das Manufakturwarengeschäft „L. Rosenblatt“ (seit 1934 Thüringer Kleiderwerk GmbH), worin Herren- und Knabenkleidung geschneidert und verkauft wurde. Es befand sich im Besitz des Juden Selig (Felix) Rosenblatt (1875-1929), nach dessen Tod das Geschäft von seiner Witwe Hedwig weitergeführt wurde. Im „Gothaer Beobachter“, der lokalen Nazizeitung, wurde auch zum Boykott dieses Geschäfts aufgerufen. Schließlich folgte die „Arisierung“ zum „Thüringer Kleiderwerk Alfred Platz“. Auch die Villa der Familie Rosenblatt in der Gartenstraße 21 erhielt einen neuen Besitzer, während die Familie wahrscheinlich auswanderte.

10

Siebleber Straße 8

Jüdische Gebetsstube

In diesem Haus befand sich vor der Errichtung der Synagoge eine jüdische Gebetsstube. Wie auch im Liebenstein’schen Haus in der Schwabhäuser Straße 6, im Rudolph’schen Haus in der Siebleber Straße 8 und im Eichel’schen Haus am Hauptmarkt 36 wurden von der jüdischen Gemeinde Privaträume als Begegnungsstätten genutzt.

11

Hünersdorfstraße 13

Judenhaus

In diesem Haus wohnte der jüdische Kaufmann Emil Ledermann. Es wurde von den Nazis als „Judenhaus“ genutzt. „Judenhäuser“ waren Gebäude aus ehemals jüdischem Eigentum, in die jüdische Menschen eingewiesen wurden.

12

Hünersdorfstraße 22-24

Stolpersteine

Die Stolpersteine im Straßenpflaster erinnern an die Kaufmannsfamilie Schleyen. Sie wurden unter dem Vorwand ihrer polnischen Staatsangehörigkeit am 28. Oktober 1938 zusammen mit bis zu 17.000 anderen jüdischen Menschen in der landesweiten „Polenaktion“ der Nazis in das Nachbarland abgeschoben. Die Aktion „Stolperstein“ wurde von dem Kölner Künstler Gunter Demnig initiiert, um „an die Verfolgung vieler Menschen im nationalsozialistischen Deutschland zu erinnern. In Gotha gibt es inzwischen über 80 solcher von Gothaer Bürgern gespendeten Gedenksteine.

13

Neumarkt 6

Filiale des Bankhauses B.M. Strupp

Hier befand sich seit 1873 die Bankfiliale „Bankhaus B. M. Strupp“, die dem Juden Meinhold Strupp gehörte und später auf seinen Sohn Louis überging. 1905 trat der „Geheime Kommerzienrat“ in den Ruhestand. Das Bankhaus wurde in die „Bank für Thüringen vorm. B. M. Strupp AG“ mit Sitz in Meiningen umgewandelt und Strupps Nachfolger wurde Julius Leffson (1851-1936). Ende 1929 musste das Bankhaus schließen. Strupps Sohn Carl, der Universitätsprofessor und Jurist war, musste nach seiner Zwangspensionierung 1933 in die Türkei emigrieren. Er starb 1940 in Chatou bei Paris. 1939 wurde die Louis-Strupp-Stiftung von den Nazis aufgelöst.

14

Neumarkt 24

Geschäft von Willi Herrmann (Wohlwert)

Auch das jüdische Geschäft „Willi Herrmann“ bzw. „Wohlwert“ wurde 1933 von den Nazis boykottiert. Wie auf dem Bild zu sehen ist, wurden Kunden durch SA-Propagandaaufrufe aufgefordert nicht mehr in jüdischen Läden zu kaufen. Taten sie dies trotzdem, wurde dies namentlich veröffentlicht und sogar an Arbeitgeber weitergegeben. Sally Schmidt, ein Mitarbeiter des Geschäftes „Willi Herrmann“, der mit einer Nichtjüdin verheiratet war, lebte nach Angaben seines Neffen unter der Wohnung eines SS-Mannes, auf dessen Drängen er in der Reichspogromnacht verhaftet und nach Buchenwald deportiert wurde. Am 6. August 1938 wurde auch dieses Geschäft durch Friedrich W. Wunderlich „arisiert“.

15

Erfurter Straße 2

Waisenhausaufseher Levi Lazarus

Im Jahr 1700 wurde dem jüdischen Kaufmann Levi Lazarus vom Herzog die Konzession für eine Manufaktur zur Tabakverarbeitung verliehen, die gleichzeitig die Unterhaltung von Waisenkindern und Bedürftigen vorsah. Seiner Niederlassung vorausgegangen war zugleich de facto die Aufhebung des 1666 von Herzog Ernst dem Frommen erlassenen Niederlassungs- und Gewerbeverbots für Juden im Herzogtum Gotha Das Unternehmen geriet zwar bald in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dennoch geht von hier nach dem Ende der ersten jüdischen Gemeinde Gothas im Mittelalter die Bildung einer neuen Gemeinde aus, auch wenn bis dahin tatsächlich noch mehrere Jahrzehnte vergehen sollten. Während der Nazizeit saß in dem der Erfurter Straße zugewandten Teil des Gebäudes die Gothaer Gestapo.

16

Erfurter Straße 5-7

Kaufhaus Conitzer

Heute befindet sich hier das Kaufhaus Moses. 1895 eröffneten die jüdischen Kaufleute Julius und Sally Israelski eine Filiale des Manufakturwarengeschäftes „M. Conitzer & Co.“ mit dem Hauptsitz in Marienwerder/Westpreußen. 1903 erfolgte ein Neubau des Hauses durch den Architekten Richard Klepzig. 1928 wurde das Kaufhaus komplett neu im modernen Bauhaus-Stil vom Gothaer Architekten Bruno Tamme erbaut, der später als „Judenarchitekt“ beschimpft wurde. 1938 enteigneten die Nazis das Kaufhaus mit seiner begehrenswerten Lage mitten in der Innenstadt. Am 5. Oktober erfolgte die Wiedereröffnung des „arisierten“ Modehauses Sauskat. 1939 wanderte die Familie Israelski in die USA aus. 1945 wurde das Kaufhaus an die Familie zurückgegeben, doch bereits 1953 von der staatlichen Handelsorganisation (HO) übernommen. Die Firma Conitzer erhielt als Entschädigung neun kleinere Geschäfte.

17

Arnoldiplatz 5

Arztpraxis von Sigismund Brock

Das Haus am Arnoldiplatz 5 war das Wohnhaus des jüdischen Arztes Dr. med. Sigismund Brock (1876-1934), welcher zu jeder Zeit für seine Patienten da war. Seiner Tochter Ilse Martha Brock gelang mit einem ihrer zwei Kinder die Ausreise nach New Orleans. Da die Reise für den erst 1938 geborenen Sohn Kurt zu anstrengend gewesen wäre, verblieb dieser bei der Großmutter Anna. Beide wurden 1942 nach Belzyce deportiert und dort ermordet.

18

Friedrichstraße 9

Anwaltspraxis von Leo Gutmann

Hier lebte seit 1908 der Rechtsanwalt Dr. jur. Leo Gutmann (1875-1951) mit seiner Familie. Er engagierte sich sehr in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und kandidierte 1920 für die Gothaer Landesversammlung. Gleich 1933 wurde Leo Gutmann von den Nazis „scharf angegriffen und auf allerlei Verbrechen beschuldigt“ und musste sich daraufhin im August 1933 gezwungenermaßen von der Anwaltsliste streichen lassen und zog nach Düsseldorf. 1937 wanderte die Familie in die USA aus. Der Sohn Theo Gutmann (1909-1997) kehrte 1945 als amerikanischer Offizier des Nachrichtendienstes nach Gotha zurück, leitete Verhöre mit Gefangenen und arbeitete als Dolmetscher für die Insassen des Konzentrationslagers bei Ohrdruf.

19

Friedrichstraße 14

Villa des Rechtsanwalts Heinrich Kunreuther

Die Kunreuther-Villa befand sich seit 1903 im Besitz des jüdischen Anwalts Dr. Heinrich Kunreuther (1864-1925), in der sich neben der Wohnung der Familie auch seine Kanzlei befand, die lange Zeit zu den angesehensten in Thüringen gehörte. Nach Heinreich Kunreuthers Tod übernahm sein nichtjüdischer Schwiegersohn Dr. Günther Gottschalk (1892-1947) die Kanzlei. Nach der Machtergreifung der Nazis erwogen die jüdischen Familienmitglieder eine Ausreise, blieben jedoch in Gotha. Gottschalks Schwiegermutter Anna Kunreuther (1871-1943) wurde nach Theresienstadt deportiert und seine Frau Marieluise (1895-1944) aufgrund einer Denunziation verhaftet und später in Auschwitz ermordet. Gottschalk selbst musste die Kanzlei schließen. Nach der Befreiung Gothas durch die Amerikaner amtierte er 1945 wenige Monate als erster demokratischer Nachkriegsoberbürgermeister der Stadt.

20

Friedrichstraße 19

Villa des Porzellanfabrikanten Julius Simson

1883 übernahm der jüdische Kaufmann Julius Simson (1860-1938) mit seinen Brüdern die Hennebergische Porzellanfabrik in der Steinmühlenallee. 1912 erwarb er die Villa und ließ sie von Richard Klepzig umbauen. Im Volksmund hieß das Haus bald nach seinem Besitzer „Porzellanschlösschen“. Die Nazis „arisierten“ nach dem Tod von Julius Simson die Villa genauso wie die bekannte Firma des Suhler Zweigs der Familie.